360 Grad Motivationsblog

Am Rande des Lebens – befinden wir uns da nicht selbst ab und zu?

Ausgabe 09/2020

Ich steige in die U3 Richtung Sternschanze und die Türen schließen sich hinter mir. Ich setze mich und kaum ist die Bahn angefahren, geht es auch schon los: „Darf ich kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten?“. Wer diese Ansprache kennt, weiß jetzt schon was kommt. Doch manchmal ist es anders, als wir denken. Ich schaue den Mann an, der keine Schuhe trägt, eine zerrissene Hose an hat und seine dreckige Jacke über den dünnen Schultern hängt. Seine braunen Augen schauen hilfesuchend um sich: „Ich habe kein Dach über dem Kopf, keine Arbeit und nichts zu essen. Ich bin dankbar für ein Brot oder zu trinken, wenn Sie was übrig haben oder um etwas Geld. Danke, dass Sie zugehört haben. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!“ Ich beobachte meine Mitmenschen. Keiner der Mitfahrenden schaut nach oben. Niemand beachtet den Mann, der gerade offen und ehrlich war. Die Bahn  hält und er steigt aus, um in den vorderen Wagon wieder einzusteigen.

Ich renne hinterher. Dieser Mann hat etwas in mir ausgelöst. In der Waggontür gebe ich ihm meinen roten Apfel und sage zu ihm: „Das, was Sie da gerade gemacht haben, war richtig mutig. Sie haben sich dahingestellt vor fremde Menschen und haben offen und ehrlich gesagt wie es Ihnen geht.“ Er schaut mich mit großen Augen an. Ich hole Luft: „Niemand von denen würde sich jemals trauen so etwas zu sagen. Sich hinzustellen und offen und ehrlich zu äußern: Ich habe finanzielle Probleme. Oder: Meine Frau hat mich verlassen. Oder:Ich habe meinen Job verloren! Niemand. Auch wenn es so ist. Doch Sie haben das gemacht. Das finde ich mutig!“ Ich schaue ihn ermutigend an und dann sagt er mit gesenktem Kopf: „Was soll ich denn machen?“ Dann schließen sich die Türen und die Bahn fährt ab. Ich kann ihm nicht mehr antworten. Kann ihm nicht sagen: „Doch, Sie können ganz viel machen! Ihre Macht nutzen. Sich Hilfe und Unterstützung suchen. Es gibt so viele Einrichtungen, die Sie dahingehend begleiten. Ich begleite Sie.“

 

Eine Parallelwelt, der wir jeden Tag begegnen

Zwei Jahre ist es jetzt her, dass ich nach Hamburg gezogen bin. Wenn man von einer beschaulichen Kleinstadt im Taunus bei Frankfurt in die Weltmetropole Hamburg zieht, ist das definitiv eine andere Welt. Es ist wie von einer rosa Wolke in die graue Realität zu fallen, wenn ich auf die Straße schaue. In der Anfangszeit fielen mir immer wieder die vielen Obdachlose auf, die überall präsent sind. Oft werden meine Tochter und ich angesprochen und um Essen und Geld gebeten. An und in den U-Bahnen, auf der Straße, vor Banken, Restaurants und Supermärkten klappern sie mit alten Coffee-to-Go Bechern, setzen oder legen sich mit Pappschildern hin wo der IST-Zustand draufsteht: „Ich bin obdachlos und habe Hunger.“ Unser Herz wurde jedes Mal so stark berührt und immer wieder haben wir Geld gegeben, bis ich irgendwann das besagte Erlebnis in der U-Bahn hatte, welches ich für mich heute als Wende in meinem Blickwinkel bezeichne. Hier gibt es ganz viel zu lernen für uns selbst.

 

Wonach hungern wir wirklich?

Menschen brauchen etwas anderes als Geld und hier meine ich ALLE Menschen. Beachtung, Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Zuspruch, Gespräche, ein gemeinsames Mittagessen, Wasser oder einfach Beachtung durch ein Lächeln oder ein liebevolles Wort. Jeder Mensch braucht Ansprache – egal welcher Klasse, Hautfarbe, Religion oder Nationalität, ob er auf der Straße lebt, in einer Vierzimmerwohnung oder mit Kindern in einem großen Einfamilienhaus an Rande der Stadt im Grünen. Jeder kann hier geben für Menschen, denn wir sind alle miteinander verbunden, denn der Himmel unter dem wir leben und der uns schützt, gehört uns allen.

Niemand weiß, wie es dem anderen geht, was ihn belastet und beschäftigt, wenn wir nicht fragen und verstehen, was dahintersteckt.

Interesse für unsere Mitmenschen zeigen. Emphatisch sein. Respektvoll zuhören. Hinfühlen, nicht nur bei Menschen, die wir kennen. Niemand kennt die Geschichten des anderen, die er erlebt hat. Wie es zu Herausforderungen kam, die uns alle innerlich manchmal gefühlt an den Rand des Lebens bringen und mit denen wir nicht weiterwissen oder auch überfordert sind. Niemand hat das Recht, darüber zu urteilen. Einzuteilen in gut oder böse. Hier heißt es: Immer auf sich schauen. Da gibt es genug zu tun.

 

Die eigene Not erkennen

Warum stellen wir uns nicht selbst aufrecht hin und sagen die Wahrheit, so wie sie ist – wie der Obdachlose in der Bahn:

„Ich habe Hunger nach Liebe.“
„Ich habe Lebensdurst nach Freude!“
„Ich finde mein innerliches Zuhause nicht mehr!“
„Mir geht es nicht gut. Ich brauche Unterstützung!“
„Kann mir jemand Zeit geben für ein Gespräch!“

Stattdessen kehren wir uns nach innen. Ziehen uns zurück. Schauen weg. Bei anderen und vor allem bei uns selbst. Reden uns unsere Baustellen des Lebens schön. „Wird schon nicht so schlimm sein“, schreiben wir uns auf das innere Plakat. Finden Ausreden mit wenn, weil, aber und reden uns heraus. Finden ganz viele Gründe im Außen, um uns nicht zu bewegen, offen zu sprechen, zu handeln und dabei  immer wieder auch die selbst getroffenen Entscheidung außer Acht zu lassen. Machen uns nicht bewusst, dass wir selbst dafür verantwortlich sind. Für so viele Umstände, die wir uns selbst geschaffen haben. Warnschüsse gibt es genug. Doch wenn das Kind in der Brunnen gefallen ist, heben wir die Hände, halten das imaginäre Schild hoch auf dem steht: „Ich bin nicht schuld, dass der Himmel in meinem Leben nicht mehr blau ist. Das ist wegen dem Chef, der Partnerin, der Finanzen oder, oder, oder“. Menschen fühlen sich oft als Opfer ihrer eigenen Geschichte und das Jammern steht prominent an erster Stelle.

 

Aufhören, sich selbst im Weg zu stehen

“Was soll ich denn machen?“
Willst du überhaupt etwas machen?  Etwas verändern in deinem Lebensrad, damit es wieder rund läuft? Die eigene Lebensmacht wieder an dich nehmen und machen? Die eigene Verantwortung für dich und das eigene Leben übernehmen und handeln. Da ist das Suhlen im eigenen Dasein schon einfacher. Sich in Dauerschleife arm, krank und depressiv reden.

Doch wie können wir Menschen erkennen, die sich derzeit am Rande des Lebens fühlen, Angst haben, traurig sind oder unglücklich? Die, die in zerlumpten Kleidern rumlaufen, die erkennen wir und fragen trotzdem nicht. Die, die heile Klamotten tragen, spüren wir nicht. Diejenigen, die traurige Augen haben, trauen wir nicht anzusprechen und die, deren Mundwinkel nach unten gehen, wollen wir nicht ansprechen. Wie oft kommt es vor: „Sie hat sich das Leben genommen. Ich habe nie was gemerkt. Es war alles unauffällig.“

 

Wir sind zusammen mehr als die Summe unserer Teile

Sich selbst und andere bewusst wahrnehmen, fragen, zuhören, miteinbinden und ihnen damit ein Stück Selbstvertrauen und Wertschätzung geben? Ihnen zeigen: Du bist nicht alleine. Sich gegenseitig unterstützen. Aufeinander achtgeben. Wir teilen uns den Himmel hier auf Erden. Das, was du aussendest, kommt immer wieder zu Dir zurück.

Wir lernen selber dabei und entwickeln uns weiter, denn solche Begegnungen, auch die, die ich hatte, haben immer mit uns selbst zu tun. Damit, für sich selbst Empathie üben, Respekt trainieren, Feingefühl entwickeln und ehrlich zu sich selbst sein und damit Klarheit für den eigenen Weg schaffen.

Jeder Mensch hat das Beste verdient – doch wir sollten uns auch dazu entscheiden, es zu wollen und alles daran zu setzen, uns dafür zu bewegen mit den Werkzeugen, die wir in uns tragen, um unseren eigenen Lebenshunger zu stillen nach Frieden, Wohlbefinden und Liebe.

Unser Potential, unsere wunderbaren Eigenschaften und unsere Einzigartigkeit warten tagtäglich darauf, dass Klarheit dafür geschaffen wird. Denn Wahrheit zu sich selbst schafft viel Dynamik für sich und für andere.

Wenn Du das nächste Mal draußen bist, gehe achtsam durch die Straßen, nimm wahr, wer Dir begegnet, lächle Deinen Mitmenschen zu, sprich sie an, sei mutig und tausche Dich aus. Es gibt so viel voneinander zu lernen. Und wer weiß? Fremde sind Freunde, die Du noch nicht kennst.

Und hier kommt noch der Spruch des Monats:

„Wir sind alle miteinander verbunden, weil wir uns den Himmel teilen.“ – Ewa Wilczeskwi

Bildnachweis: Dirty vagrant begging for food © Photographee.eu – stock.adobe.com

Über mich als Bloggerin

Meinen „Motivationsblog von und mit Kathrin“ habe ich seit 2012. Das war mein Startschuss für das Schreiben im Netz. Es gibt mir die Möglichkeit all die Themen, die viele Menschen beschäftigen, genauer zu beleuchten und dahingehend zu motivieren selbstbestimmend zu leben, in kleinen Schritten loszulaufen und einfach aus ganzem Herzen zu leben.